"Die Oberfläche des Glücks" von Claire Kells

Seit dem Absturz gibt es für Avery nur eine Zeit davor und eine Zeit danach. Davor war sie eine der erfolgreichsten Wettkampfschwimmerinnen an ihrer Uni. Sie war beliebt und hatte einen Freund, der alles für sie getan hätte. Ihr Leben war einfach.

Jetzt, danach, ist alles anders. Avery schwimmt nicht mehr. Sie verkriecht sich im Haus ihrer Eltern, versucht zu verarbeiten, was geschehen ist. Sie denkt nicht an Colin, der neben ihr im Flugzeug saß und mit ihr überlebte.

Avery und Colin sprechen nicht über das, was dazwischen geschehen ist. Als sie in der Wildnis gegen den Tod kämpften, wussten sie, was sie zu tun hatten. Doch nun ist ihnen klar, dass das Weiterleben nach dem Überleben manchmal die größere Herausforderung ist …

(Cover-, Text- und Zitatrecht: Lübbe LYX Verlag)

Meine Meinung

Gedanken zum Buch

Jeder einzelne von uns, der einen Flugzeugabsturz nicht selbst überlebt hat, wird sich wohl in diese Situation wirklich einfühlen können, oder dessen Nachwirkungen wirklich begreifen können. So geht es mir zumindest. Der Gedanken an einen Flugzeugabsturz, erfüllt mich mit Grauen, Angst, Panik. Ich denke an Schmerzen, Leid und Trauer, aber auch daran wie sich das Weiterleben als Überlebender anfühlen muss. Ist man erfüllt von Dankbarkeit? Dankbarkeit, dass man überlebt hat. Glücklich, dass man zu seiner Familie und seinen Lieben zurück kehren kann. Oder ist das Trauma zu schwerwiegend? Begleitet einen die Angst Tag für Tag? Lebt man mit einer Schuld, weil andere Menschen es nicht geschafft haben? Erstickt man an Fragen ob man mehr hätte tun können?

Avery

Avery ist Studentin, Wettkampfschwimmerin, sie ist beliebt, ist mit einem lieben, gut aussehenden Jungen zusammen und genießt ihr Leben, dann kommt der Absturz. Auf dem Weg von ihrer Uni nach Hause stürzt das Flugzeug in dem sie und viele andere sitzen in den Bergen ab. Neben ihr sitzt Collin, ein Freund und Schwimmer aus ihrer Mannschaft. Obwohl ihr fast das Herz stehenbleibt kann sie nichts anderes tun als abwarten und Collins Hand halten.

Ihre Geschichte wird in zwei Strängen aus Averys Sicht erzählt. Im aktuellen Geschehen ist Avery zu ihren Eltern zurück gezogen, sie verkriecht sich und ist zerbrochen und ziemlich durcheinander wie es jetzt weitergehen soll. Kann sie weitermachen, gibt es eine Zukunft oder doch lieber einfach all dem Trubel entkommen und sich bloß nicht mit ihren Gefühlen auseinandersetzen. Abwechselnd werden in Rückblenden die Tage nach dem Flugzeugabsturz erzählt. Wie sie, Collin und die drei Jungs nach dem Absturz zu überleben versuchten.

»Ich lächle – wiederstrebend, unsicher, aber immerhin. Keine Tränen. Etwas in mir scheint wieder Halt zu finden, ich habe wieder festen Boden unter den Füßen.«

(Seite 122)

Wasser, kalt und beängstigend vs. eine Zuflucht, ein Teil von Avery

Besonders das Wasser spielt eine zentrale Rolle in Averys Geschichte, als Schwimmerin hat sie sich seit ihrer Kindheit im Wasser wohl und Zuhause gefühlt. Wasser, Schwimmen,Pools waren ihr so vertraut, dass sie ein Teil von ihr waren.

Nach dem Absturz wurde Wasser zu ihrem Feind. Sie hat es als kalt, gefährlich und tödlich kennengelernt. Der Gedanke daran das Schwimmen wieder aufzunehmen und sich ins kühle Nass zu begeben macht ihr eine Heidenangst. Sie befindet sich in einem heftigen Zwiespalt und ist gelähmt.

Collin und die Jungs

Collin, Averys Mannschaftskamerad aus dem Schwimmteam, hingegen scheint sehr gefasst zu sein. Seine Gefühlswelt wird weniger klar als Averys, doch auch er hat seine Päckchen zu tragen. Was zwischen ihnen war und ist, ist sehr schleierhaft. Ist es die Verbundenheit gemeinsam überlebt zu haben, hat es sie für immer zusammen geschweißt oder trennt die gemeinsame Erinnerung die beiden doch viel mehr? So verkörpert der Andere doch immer die traumatische Erinnerung.

Ihre Beziehung ist sehr tiefgründig, sehr facettenreich und ganz und gar nicht plump erzählt. Es ist keine Liebesgeschichte von zwei Überlebenden. Sie gehen nicht als kitschiges Paar aus der Krise hervorgehen, sondern es entwickelt sich vielmehr eine zarte und zerbrechliche Verbindung. Sie lernen den Halt des anderen Schätzen.

»Der Nebel hatte sich gelichtet. Danach träumte ich in grellem Rot und schlierigem Blau. Ich sah bleiche, erstarrte Gesichter, deren Münder sich lautlos bewegten, wie bei sterbenden Fischen. Ich sah […] einen See ohne Grund. Ich sah drei kleine Jungen, die tot in meinen Armen lagen. Und ich sah Collin wie er jemanden rettete.«

(Seite 23)

Besonders warm und herzlich fand ich persönlich, wie Avery und Collin sich um die drei kleinen Jungs gekümmert haben, die mit ihnen zusammen den Absturz überlebt haben. Avery stand immer zwischen Überforderung und Überlebenswillen, Collin hingegeben hat allgegenwärtig eine Ruhe und Stärke ausgestrahlt, die man sich wirklich nur wünschen kann. Es war sehr schön, wie unterschiedlich die beiden Charaktere waren und doch so verbunden.

Entwicklung und Tempo

Zuerst dachte ich, dass das Buch schon ein sehr langsames Tempo anschlägt. Dass die Geschichte einfach nicht in an Fahrt aufnimmt. Nach und nach hat sich die Geschichte jedoch so zart und liebevoll und zerbrechlich entwickelt, dass ich verstanden habe, dass es in genau dem richtigen Tempo erzählt wurde. An diesem Buch passt wirklich alles zusammen und hat mich sehr bewegt.

»Als ich ihn lächeln sehe, schlägt mein Herz zum ersten Mal an diesem Nachmittag wieder normal.«

(Seite 124)

Fazit

»Die Oberfläche des Glücks« ist ein unfassbar gefühlvolles, tiefgründiges Buch. Es strotzt nicht vor Handlung, Action und einem aufgeblasenen Überlebenskampf in den Bergen, sondern bewegt es viel mehr auf der Gefühlsebene von Avery und Collin. Eine sehr bewegende Geschichte, die mir einige Tränen in die Augen getrieben hat! Eine Geschichte die zarter und einfühlsamer nicht hätte sein können. Mittlerweile habe ich es noch zwei Mal als Hörbuch gehört, es ist eins meiner All-Time Favorites.

Alle meine Rezensionen findet ihr hier 🠖

Buchdetails

Verlag: Lübbe Verlag (07.2016)
(Damals noch im Egmont Verlag unter dem Label INK verlegt, jetzt im Lübbe Verlag unter dem Label LYX. Aktuell nur noch als Ebook erhältlich.)

352 Seiten

Verlagsseite →


Hinweise

Rezension: ©alienicious 2022

Ursprünglich auf meinem ehemaligen Blog “Blutrot” 2016 erschienen. Hier zu lesen, die überarbeitete und ergänzte Variante von Juni 2022.

Ich habe das Buch damals als Rezensionsexemplar erhalten.