In meiner Rezension zu Nachbarskind von Anita Waller erzähle ich euch, warum mich der Auftakt rund um Jeanette Gregson packen konnte, die Geschichte mit Martha aber für mich zunehmend an Glaubwürdigkeit verlor.

Inhalt
Ein Blick durchs Schlüsselloch – in ein Haus, in dem nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Dunkel, intensiv und fesselnd: Der nervenaufreibende Psychothriller von Bestsellerautorin Anita Waller.
Janette Gregson hat sich in die einsame Sicherheit ihres Hauses zurückgezogen. Als sie einem unerwarteten Besucher die Tür öffnet, stürzt ihre Welt brutal in sich zusammen. Monate später bringt sie ein Kind zur Welt. Im Keller, ganz allein – das Erbe eines Verbrechens, das nie ans Licht kommen darf. Janette wird zur Gefangenen ihrer Vergangenheit und ihrer eigenen Ängste. Doch was passiert, wenn das Kind zum Mittelpunkt eines neuen, verstörenden Spiels wird? Denn irgendwann kommt jedes Geheimnis ans Licht …
Quelle: Digital Publishers
Meine Meinung
Das Buch ist in mehrere Abschnitte unterteilt, die wiederum „Bücher“ genannt werden. Der erste Teil, der sich mit Jeanette Gregson beschäftigt, hat mir mit Abstand am besten gefallen. Jeanette ist eine absolute Einsiedlerin, deren Leben von schweren Traumata und psychischen Auffälligkeiten geprägt ist. Sie hat sich eine eigene Welt geschaffen in der sie, geformt von einer schwierigen Kindheit, zurecht kommt. Sie betreibt eine Hundepension und es wird schnell klar, dass sie für die Hunde in ihrer Obhut wesentlich mehr Zuneigung und Verbindung empfindet als für Menschen im Allgemeinen. Ihr einziger Freund ist ihr Hund. Aus ihrer Perspektive zu lesen war für mich etwas Neues und Spannendes – gerade weil vieles in ihrem Verhalten zwanghaft und auf den ersten Blick wenig nachvollziehbar erscheint. Das hat den Abschnitt für mich intensiv, beklemmend und auf eine verstörende Weise faszinierend gemacht.
Mit dem Auftreten des Kindes Martha verlagert sich der Fokus – und damit verlor das Buch für mich an Stärke. Anfangs fand ich es noch interessant, Marthas Entwicklung zu begleiten. Doch je weiter die Geschichte voranschritt, desto weniger nachvollziehbar wurde ihr Verhalten. Ihre Gemütszustände schwanken ständig: mal von dem schwer traumatisiert und gestörten Mädchen, der die Welt fremd ist. Mal zu einem fast normal wirkenden Mädchen, das freundlich und ausgeglichen ist und dazu hochbegabt. Später folgt ein plötzlicher Bruch in der Geschichte bei dem sie fast „böse“ erscheint. Dieser Bruch war aus Storytelling Sicht fast zwangsläufig notwendig und voraussehbar. Auf der anderen Seite wurde er fast wieder zurückgenommen oder negiert in dem Martha wieder in die Rolle der freundlichen und netten Adoptivschwester zurückfällt. Es ist nicht eindeutig, ob sie all ihr Verhalten spielt als Mittel zum Zweck, oder sie eine psychisch traumatisierte, zwiespältige Figur darstellen soll. Diese Inkonsequenz hat mir den roten Faden genommen und ließ die Figuren unausgereift wirken.
Auch der Ausgang der Geschichte konnte mich nicht so recht überzeugen. Die Entwicklungen und Verbindungen, die zu dem Ende des Buches geführt haben – welches ich an dieser Stelle nicht spoilern möchte – waren für mich nicht derart ausgeprägt um das Ende zu erklären. Vieles wirkte zu konstruiert und unglaubwürdig. Die Emotionen blieben – vor allem ab dem zweiten Teil – für mich oft blass und nicht nachvollziehbar. Ich denke, die Geschichte hätte davon profitiert, wenn sich die Autorin stärker auf eine der beiden Figuren und deren Erzählstrang konzentriert hätte.
Einige Elemente fand ich allerdings durchaus gelungen. Die Idee mit den Tagebüchern in Bilderform war ein originelles Detail. Auch die thematischen Schwerpunkte – Familiendrama, Adoption, psychologische Folgen von Traumata, die Arbeit von Sozialarbeitern und Psychologen sowie die Frage, wie nah man Menschen wirklich kommt – hatten Potenzial. Das Buch lebt von der Idee “Man kann Menschen nur vor den Kopf schauen”, niemand weiß mit Gewissheit was sich hinter der Fassade abspielt und niemand weiß welche Schicksale sich hinter verschlossener Tür zutragen. Leider wurde dieses nicht konsequent genutzt. Die Chemie zwischen Martha und ihrer Adoptivschwester wirkte für mich sehr merkwürdig und hat stark geschwankt.
Am Ende bleibt der Eindruck eines Buches, das sehr stark beginnt, dann aber an Stringenz und Glaubwürdigkeit verliert. Die Botschaft „Man kann Menschen nur vor den Kopf schauen“ ist wichtig und treffend, doch die Umsetzung konnte mich nicht durchgehend überzeugen.
Fazit
Ein Psychothriller mit intensivem und interessantem Start und spannender Grundidee, der aber je weiter die Geschichte voranschreitet immer konstruierter wirkt und seine Figuren nicht stringent entwickelt.

Buchdetails
“Nachbarskind” von Anita Waller
dp audiobooks – 17.07.2025 (Hier geht’s zur Verlagsseite🔗)
Hörbuch – 09:06h – ab 4,95 €
Hinweise
Rezension: ©alienicious 2025
Das rezensierte Hörbuch wurde mir als Rezensionsexemplar von Digital Publishers zur Verfügung gestellt.

