Erfahrt in meiner Rezension zu “Das Totenschiff” von Traven warum das Buch auch nach knapp 100 Jahren nichts an seiner Brisanz verloren hat und warum ich das Buch für wahnsinnig lesenswert – wenn auch schmerzhaft – finde!

Meine Meinung
“Ein Mensch ohne Papiere ist kein Mensch”. Er ist eine Verlegenheit. Eine wandelnde Lücke in der Bürokratie, eine Unannehmlichkeit, eine Lästige Angelegenheit, derer man sich nicht annehmen will. In B. Travens “Das Totenschiff” wird aus dieser Lücke ein Abgrund.
Der amerikanische Seemann Gales, der nach einem Landgang in Antwerpen sein Schiff verpasst und ohne Identitätsnachweis zurückbleibt, gerät in einen kafkaesken Strudel aus Abschiebungen, Grenzstationen, Konsulaten und Desinteresse. Ohne Papiere, ohne Staat, ohne Recht. Kein Herkunftsland will ihn zurück, kein Beamter fühlt sich zuständig. Er sei offiziell gar nicht auf der Welt, wie der amerikanische Konsul lakonisch feststellt. Von da an ist Gales nicht nur staatenlos, sondern rechtlos – und damit vollkommen ausgeliefert.
Die Irrfahrt, die folgt, hat eine albtraumhafte Konsequenz. Erst ist es der Aufenthalt in Lagern, dann die Zwangsarbeit auf der Yorikke, einem schwimmenden Friedhof – ein Schiff für praktisch Tote – für die Entsorgten der Weltgesellschaft. Nur wer nichts mehr ist, darf auf einem Totenschiff arbeiten. Keine Hafenbehörde lässt die Männer mehr an Land. Sie existieren nur noch als billige, verschleißbare Muskelmasse – eine Form von Arbeitskraft, die keinerlei Rechte kennt und vollständig von den Launen der Schiffsführung abhängt. Die Yorikke fährt offiziell wertlose Fracht, betreibt aber Waffenschmuggel, während ihre Besatzung langsam verhungert.
Traven inszeniert diese Szenerie mit einer bedrückenden Konsequenz. Er gibt den Papierlosen, den Entwurzelten, den Überflüssigen ein Gesicht. Gales ist kein Held, sondern ein Getriebener. Und das macht seine Geschichte umso bitterer. In einem lakonischen Ton, der jede Sentimentalität vermeidet, berichtet er von systematischer Entmenschlichung – nicht durch Gewalt oder Terror, sondern durch bürokratische Gleichgültigkeit und wirtschaftliches Kalkül. Diejenigen, die vom Kapitalismus profitieren, nutzen die Lücken im Recht um sich zu bereichern.
In “Das Totenschiff” schlägt Travens anarchistische Weltsicht voll durch. Die Arbeiter sind das Rückgrat seiner Geschichten, nicht als idealisierte Figuren, sondern als Überlebende. Als diejenigen, die den Dreck der Weltgesellschaft abbekommen. Der Kapitalismus erscheint hier nicht als abstrakte Macht, sondern als ganz konkreter Apparat aus Schiffseignern, Versicherungsbetrug, Arbeitsverhältnissen ohne Absicherung – eine Maschinerie, die Menschen nur als Funktionseinheiten betrachtet.
Das Mysterium B. Traven
Dass Traven selbst ein Mysterium war, passt nur zu gut. Unter verschiedenen Pseudonymen publizierend, vermutlich ein deutscher Intellektueller im mexikanischen Exil, entzog er sich konsequent dem bürgerlichen Literaturbetrieb – ebenso wie seine Figuren jeder Form von gesellschaftlicher Verankerung beraubt sind. Travens Nähe zur Büchergilde Gutenberg, zur Exilliteratur, zur linken Publizistik der Zwischenkriegszeit ist dabei kein Nebenschauplatz, sondern Teil eines politischen Programms, das den Unterdrückten eine Stimme verleiht.
(Wenn ihr mehr über den geheimnisvollen Autor B. Traven erfahren wollte: hier der Wiki-Artikel)
Aktualität nach knapp 100 Jahren
Trotz seines Alters von fast hundert Jahren hat “Das Totenschiff” nichts von seiner Relevanz eingebüßt. Im Gegenteil: In einer Welt, in der wieder Millionen Menschen ohne Papiere leben, in der Grenzen töten und Bürokratie sich selbst genügt, wirkt das Buch wie ein Mahnmal aus rostigem Eisen. „Die Verdammten dieser Erde gibt es immer noch“, schreibt Volker Kutscher über Traven – und “Das Totenschiff” zeigt, wie wenig sich an ihrer Lage geändert hat.
Fazit
Ich habe das Buch in mehren Etappen gelesen, die Art der Sprache ist aufgrund des Alters der Geschichte ungewohnt. Der Verlag hat sich entschieden bis auf die Verwendung des N-Wortes den Text im original zu belassen. Die Geschichte ist eindrücklich, aber keine leichte Kost. Mich hat das Buch sehr beeindruckt und bedrückt. Insbesondere die Aktualität der Geschichte ist schockierend. Knapp 100 Jahre nach erscheinen des Werkes sind Themen wie Staatenlosigkeit, Opfer der Bürokratie, skrupelloser Kapitalismus und Migration ebenso heiß diskutierte und aktuelle Themen.
Ein Buch, das weh tut. Und eines, das gelesen werden muss.
Buchdetails:
“Das Totenschiff” von B. Traven
Diogenes Verlag – 13. Dezember 2023 (im Original erschienen 1926)
Hardcover Leinen – 416 Seiten – 26,00€
Hinweise
Rezension: ©alienicious 2025
Das rezensierte Buch habe ich selber erworben.
Eine Übersicht meiner Rezensionen findet ihr hier. 🕮